Nicht Großbritannien und die Tschechoslowakei grenzen hier aneinander, sondern:
das ehemalige Großherzogtum Baden und der CantonSchaffhausen („Kanton“ in alter Schreibweise mit C), auf neueren Grenzsteinen jedoch Deutschland und die Schweiz.
Nirgendwo sonst in Europa gibt es eine solch chaotische, nach keinem erkennbaren System verlaufende Grenze zwischen zwei Staaten wie zwischen dem Schweizer Kanton Schaffhausen und dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg*. Sie läuft kreuz und quer durch Wälder und Felder und folgt eher selten einem natürlichen Landschaftsmerkmal wie einem Bach oder einem Grat. Im Jahr 1839 wurde sie durch eine hohe Zahl von mächtigen, je 300 kg schweren Grenzsteinen markiert, die eigentlich nicht zu übersehen sind und doch im Sommer in einem Maisfeld versteckt sein können.
Manchmal kann man über Kilometer von Grenzstein zu Grenzstein an ihr entlang wandern; manchmal hingegen sind die Grenzsteine für Wanderer unerreichbar, weil sie auf eingezäuntem Privatgelände stehen. Im Tatort-Krimi der ARD vom 17.1.2010 sorgte die Zickzackgrenze für zusätzliche Spannung. Die im Grenzgebiet bei Wiechs am Randen umherfahrenden Kommissare wussten teilweise selbst nicht mehr, ob sie noch in der Schweiz oder schon in Deutschland waren oder umgekehrt.
Als die Franzosen am Ende des Zweiten Weltkrieges im Hegau einrückten, war ihnen der Grenzverlauf so suspekt, dass sie kurzerhand drei Teilgebiete mehrere Monate lang evakuierten, d.h. die Bevölkerung zum Verlassen dieser Gebiete aufforderten. Vom übrigen Deutschland her konnte man natürlich auch nicht in diese Gebiete hinein gelangen. Der Grenzverlauf sah dann so aus:
„Heitere Patrioten“ oder „stumme Hüter“ ?
Literarisch sind die Grenze und der Grenzverlauf von der Schweizer Autorin Ruth Blum (1913 - 1975) - in ihrem Roman Die grauen Steine - und vom Schweizer Mundartdichter Jakob Brütsch (1919 - 2006) - in mehreren seiner Gedichte - thematisiert worden.
Während für Jakob Brütsch die Grenzsteine „heitere Patrioten“ sind, für die sich allenfalls noch die Touristen interessieren (einen „Grenzsteinpfad“ hat allerdings meines Wissens noch keine Gemeinde kreiert!) und die von einem Barzheimer Bauern schon mal versehentlich umgepflügt werden (so geschildert in dem Gedicht „Durchbruch“), hat Ruth Blum sehr viel dramatischere Zeiten an der Grenze erlebt.
Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg braucht sie einen Passierschein bzw. eine Sonderbewilligung, um von Wilchingen im Kanton Schaffhausen in das nur acht km entfernte badische Bühl zu gelangen, wo sie die Kapelle mit der Statue der Heiligen Notburga anschauen will. „Offen und unbewehrt lagen Rapsfelder und Getreideäcker zwischen den grauen Steinen, die so sinnwidrig die geographische Einheit des Tales zerschnitten.“ Es gibt Schlagbäume mit Tafeln, auf denen „Verbotener Grenzübergang“ steht. In den Zwanziger Jahren wird fleißig geschmuggelt, aber es gibt auch eine hohe Zöllner-Präsenz. Später folgen dramatische Szenen an der Grenze während der Zeit der Naziherrschaft. Die Autorin erlebt auch die Zwangsevakuierung des „Flaschenhalses“ (gemeint ist der deutsche Territoriumszipfel von Lottstetten/Jestetten) nach Kriegsende durch die Franzosen. Sie sinniert: „Wenn alle die Steine da reden könnten!“
Da der mächtige Nachbar im Norden aber sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg die Grenze insgesamt respektiert und die Schweizer Territorien auf „der bösen Seite des Rheins“ (also die nördlich des Rheins gelegenen Schweizer Gebiete der Kantone Schaffhausen, Zürich und Basel) letztlich unangetastet lässt, kommt Ruth Blum zu dem Schluss, dass die Grenzsteine „die stummen Hüter unserer Marken“ waren, und fragt sich (der Roman ist 1971 erschienen!): „Würden sie ein drittes Mal Wächter und Beschützer sein?“
Inzwischen haben die Steine die Schweiz nicht vor dem Beitritt zum Schengen-Raum (Dezember 2008) bewahrt; und während sie selbst noch stehen, sind alle Schilder wie das hier abgebildete verschwunden - abmontiert!
www.Zickzackgrenze.de „porträtiert“ in lockerer Abfolge einzelne Grenzsteine. Sie werden auch heute noch regelmäßig "gepflegt"; d.h. die Inschriften in ihnen werden nachgezogen, so dass sie lesbar bleiben (siehe die Fotos). Bei zu starker Verwitterung oder Beschädigung werden auch Grenzsteine ausgetauscht.
Literatur:
Kurt Bächtold, „Wie die Schaffhauser Kantonsgrenze entstanden ist“, Schaffhauser Magazin, 1987/2, S.29-31
Schaffhauser Kantonsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 2, Schaffhausen 2002, ISBN 3-85801-151-7 (Auf S.1258 erfährt man, warum die "Versteinung" der Grenze, d.h. die Markierung durch die charakteristischen großen Steine, ausgerechnet im Jahr 1839 erfolgte - die Luzerner, die zu diesem Zeitpunkt "Vorort" der Schweiz waren, steckten dahinter!)
Nikolaus Philippi, „Grenzbereinigungen zwischen dem Großherzogtum Baden und dem Kanton Schaffhausen im Zuge des Grenzvertrags von 1839“, hegau - Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee, herausgegeben vom Hegau-Geschichtsverein e.V., Singen/Hohentwiel, 65 /2008, S.91-100. In diesem Artikel findet man auch den Wortlaut des Grenzvertrages vom 1.März 1839.
Nikolaus Philippi, Grenzland Hegau - Grenzsteine erinnern an ehemalige Herrschaften und Territorien, Verlag Rockstuhl 2013, ISBN 978-3-86777-479-6
Vom gleichen Autor, der vor seiner Pensionierung im deutschen Zoll an der deutsch-schweizerischen Grenze gearbeitet hat, gibt es ein reich bebildertes, sehr viel grundsätzlicheres Büchlein zu Grenzsteinen überhaupt:
Nikolaus Philippi, Grenzsteine in Deutschland - Entstehung und Geschichte der Grenzsteine als Steinerne Zeugen in Wald und Flur, Verlag Rockstuhl 2009, ISBN 978-3-86777-125-2 (Das Buch steht ausleihbar in der Singener Hegau-Bibliothek)
Erich Rothfelder, "Grenzstein weicht den Kickern", Südkurier 5.9.2003, http://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/singen/Grenzstein-weicht-den-Kickern;art372458,606564
Albert Bittlingmaier, "Grenze hält den Ball im Spiel", Südkurier 18.4.2015, S.22; im Internet (nur für Exklusiv-Abonnenten) auch unter dem Titel "Wenn hinter der Seitenauslinie die Schweiz beginnt" zugänglich
Ein Schweizer Maler und Zeichner hat die ganze Kantonsgrenze von Schaffhausen abgewandert und ein Buch mit Illustrationen dazu veröffentlicht. Zwischen dem Beginn der Wanderung und der Publikation des Buches vergingen drei Jahre (1996-1999):
Albert Gerster, Grenzgang - Entlang der Schaffhauser Landesgrenze, Schaffhausen: Meier Verlag 1999, ISBN 3-85801-048-0 (Das Buch steht ausleihbar in der Singener Hegau-Bibliothek)
Ruth Blum, Die grauen Steine (Roman), Verlag Peter Meili Schaffhausen 1971, ISBN 3 85805 008 1 (Das Buch steht ausleihbar in der Singener Hegau-Bibliothek)
Jakob Brütsch, Dänn schwätz i mit dem Moo - Mundartgedichte, Verlag Peter Meili Schaffhausen, 1979, ISBN 3-85805-061-X, darin das Gedicht "De Gränzschtoo"
Füüfi grad und lueg nit tumm - Dialäkt-Gedicht, Meier Verlag Schaffhausen, 1993, ISBN 3-85801-011-1, darin die Gedichte "An en bornierte Gränzschtoo" und "Durchbruch"
„For nearly its whole length through the Smokies, the Appalachian Trail marks the boundary between North Carolina and Tennessee. I liked this very much, the idea of being able to stand with my left foot in one state and my right foot in the other whenever I wanted, which was often, or to choose at rest breaks between sitting on a log in Tennessee or a rock in North Carolina, or to pee across state lines, or many other variations.“ Bill Bryson, A Walk in the Woods, ISBN 978-0-307-27946-0, pp.126-127
Freie Übersetzung mit Anpassung an die Verhältnisse auf dem Schienerberg:
„Von Maria Tann im Osten bis zum Herrentisch im Westen und sogar noch ein Stück darüber hinaus führt ein Wanderweg genau an der deutsch-schweizerischen Grenze entlang. Mir gefiel das, die Vorstellung, wann immer ich wollte (und das war recht oft!) mit meinem linken Fuß in dem einen Staat und mit dem rechten in dem anderen zu stehen oder bei einer Rast zwischen der Möglichkeit auszuwählen, auf einem Baumstamm in der Schweiz oder einem Stein in Deutschland zu sitzen, oder über die Staatsgrenze hinweg zu pinkeln und noch viel anderes mehr.“
Und Ruth Blum schreibt: "[Richard] ging in den Wald hinein, während ich mich im Grase ausstreckte, das Haupt auf schweizerischen, die Füsse auf deutschen Boden gebettet. Ich schloss die Augen und lauschte den Vogelstimmen im Gebüsch. Von Zeit zu Zeit blinzelte ich träge in den blauen Himmel über den Laubholzkronen hinein ..."
* Informationen über weitere abenteuerliche Grenzverläufe sowohl in Europa als auch in Übersee finden sich im Buch von Manfred Schmidt, Geographische Kuriositäten, 2008, Grin-Verlag, ISBN 9783638955300, S.97-116 Ein absolutes Kuriosum in Europa ist der Grenzverlauf auf der halb schwedischen, halb finnischen Insel Märket in der Ostsee, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Märket
Externe Links
Diese Website enthält Verknüpfungen zu Websites Dritter (»externe Links«). Diese Websites unterliegen der Haftung der jeweiligen Betreiber. Der Anbieter hat bei der erstmaligen Verknüpfung der externen Links die fremden Inhalte daraufhin überprüft, ob etwaige Rechtsverstöße bestehen. Zu dem Zeitpunkt waren keine Rechtsverstöße ersichtlich. Der Anbieter hat keinerlei Einfluss auf die aktuelle und zukünftige Gestaltung und auf die Inhalte der verknüpften Seiten. Eine ständige Kontrolle dieser externen Links ist für den Anbieter ohne konkrete Hinweise auf Rechtsverstöße nicht zumutbar. Bei Kenntnis von Rechtsverstößen werden jedoch derartige externe Links unverzüglich gelöscht.